und das Phänomen der „Trophischen Kaskade“
Der Europäische Wolf ist momentan in aller Munde und nicht nur in den Medien präsent, sondern leibhaftig zurück in den Wäldern einiger Bundesländer.
Bekanntermaßen wandern (Jung-)Wölfe auf der Suche nach Revieren weite Strecken. Was die Tiere allerdings veranlasst ausgerechnet in ein dicht besiedeltes, durch Verkehrswege und landwirtschaftliche Nutzung zersiedeltes Land wie Deutschland zurückzukehren? Die Antwort auf diese Frage ist wohl noch ungeklärt.
Obwohl – vorsichtig ausgedrückt – nicht alle erfreut sind, den Wolf in ihrer Nähe zu haben, muss man sich natürlich fragen wer war zuerst da, Wolf oder Viehzüchter? Doch es gibt eine Menge guter Gründe sich über die Anwesenheit zu freuen. Ein guter Grund ist aus ökologischer Sicht ein Phänomen, das „Trophische Kaskade“ genannt wird. Ich will hier auf die übliche Beschreibung von Europäischen Wölfen verzichten, denn wie eingangs angemerkt, gibt es aktuell genug in den Medien über diese Tiere zu erfahren.
Widmen wir uns also zunächst der Trophischen Kaskade und im zweiten Teil des Beitrages um ein Unterarten des Wolfes, nämlich dem Polar- und Tundrawolf und einem Wolf der keiner ist – den Mähnenwolf.
Die Frage „Wer frisst wen?“ können wir am besten beantworten, indem wir uns Nahrungsketten betrachten. Sie stellen in linearer Form die Nahrungsbeziehungen von Lebewesen untereinander dar. Also z.B. Pflanzen, Pflanzenfresser und Raubtiere. Da es aber Pflanzenfresser gibt die auch tierische Nahrung nicht verschmähen oder Raubtiere die von größeren Raubtieren gefressen werden, kann diese Nahrungskette aus vielen Gliedern bestehen*. Nun stellen wir uns dieses System nicht linear vor, sondern als Pyramide und betrachten die ganze Sache aus Sicht des Wolfes (als sogenannter Spitzenprädator), dann kommen wir in diesem Fall auf drei Ebenen (oder Trophieebenen). Oben der Spitzenprädator Wolf – seine Beute die Pflanzenfresser und unten die Pflanzen als Erzeuger von Biomasse.
Die Veränderungen in dieser Pyramide, die von oben nach unten durch den Wegfall von Spitzenprädatoren ausgelöst werden, nennt man Trophische Kaskade. Nicht alle Ökologen unterstützen diese Theorie. Aber das Beispiel der Wölfe im Yellowstone Nationalpark/Wyoming zeigt, dass sie nicht ganz von der Hand zu weisen ist:
Im Jahr 1872 wurde der Nationalpark gegründet. Durch die anfangs erlaubte Jagd und Wilderei waren bereits 1920 die Wölfe aus dem Park verschwunden. In den folgenden Jahren wurde die Zunahme der Elch- und Wapiti-Hirsch Populationen beobachtet. Die Folge war Bodenerosion durch den Verlust der Vegetation besonders an Bächen und in Feuchtgebieten. Zum Beispiel fehlten speziell Zitterpappeln. Das wiederum wirkte sich auf den Lebensraum der hier beheimateten Biber aus, die nicht mehr genug Holz fanden, um ihre Staudämme zu bauen und so der Schutz der Nester und die Nahrungsbevorratung nicht mehr gewährleistet war. Die Anzahl der Biber ging dramatisch zurück.
Die Wiederansiedlung von Wölfen erfolgte dann 1995 mit der Folge, dass sich das Ökosystem langsam erholte. Die Reduzierung der Pflanzenfresser durch die Wölfe war allerdings nur ein Grund für diesen Erfolg. Prädatoren halten alleine durch ihre Anwesenheit und die Gefahr die von ihnen ausgeht die Herden der Pflanzenfresser in Bewegung, sodass diese gezwungen sind häufig Standortwechsel vorzunehmen. So wird Kahlfraß verhindert und die Pflanzen bekommen Zeit zur Regeneration.
Trophische Kaskaden gibt es natürlich nicht nur an Land, sondern auch in Seen oder im Meer. So hat man z.B. an einer flachen Felsküste in Nova Scotia alle Hummer entnommen. Ergebnis des Eingriffs war die unkontrollierte Vermehrung der Seegurken, was zum Verschwinden der ausgedehnten Seetangwälder führte – der Lieblingsnahrung von Seegurken.
Trophische Kaskaden können sehr komplex sein und es kann auch mehr als drei Ebenen geben, maximal jedoch fünf. Und muss man es erwähnen? Ja! – Auslöser der meisten Trophischen Kaskaden ist der Mensch, der oft und falsch in Ökosysteme eingreift. Die Erkenntnisse über dieses Phänomen bieten uns allerdings auch die Chance der Korrektur. Eine solche Korrektur ist die Wiederansiedlung von Wölfen in Deutschland.
*Komplexere Beziehungen die in der Nahrungskette nicht dargestellt werden können, werden in Nahrungsnetzen verdeutlicht.
Die folgenden Bilder des Europäischen Grauwolfs wurden aufgenommen: im Tierpark Worms, Alte Fasanerie Klein-Auheim, Tier- und Pflanzenpark „Fasanerie“ Wiesbaden und Tiergarten Weilburg.














Die folgenden Bilder der Timberwölfe sind im Mai 2023 im Erlebnis-Zoo Hannover entstanden. Timberwölfe sind die nordamerikanischen Verwandten unserer einheimischen Grauwölfe.






Polarwolf + Tundrawolf
Wölfe bevölkerten die gesamte nördliche Halbkugel. Die Einteilung in Untergruppen fällt schwer, da es viele Gemeinsamkeiten gibt und sich benachbarte Populationen durchaus vermischt haben könnten. Nach ihrem Verbreitungsgebiet kann man zwischen den Eurasischen Wölfen und den auf dem nordamerikanischen Kontinent verbreitenten Wölfen unterscheiden. Den Polarwolf oder Arktischer Wolf (Canis lupus arctos) finden wir in der kanadischen Arktis und Grönland. Zu den amerikanischen Tundra Wölfen zählen der Barron-Ground Wolf oder Alaska-Tundrawolf und der Hudson Bay Wolf. Der Tundrawolf (oder Turukhanwolf (Canis lupus albus) lebt im nördlichen Eurasien von Finnland bis Kamtschatka. Alle diese Unterarten haben eine sehr helle bis weiße Fellfarbe. Für mich gehören sie zu den beeindruckendsten Wölfen. Daher widme ich ihnen diesen Beitrag.
Das Verbreitungsgebiet dieser weißen Wölfe ist sehr lebensfeindlich insofern mussten sich die Tiere im Laufe der Evolution an Kälte und begrenzte Nahrungsressourcen anpassen. Im Unterschied zu den Grauen Wölfen in den südlichen Verbreitungsgebieten ist ihr Fell dichter und länger, sie sind kräftiger und die Sozialstrukturen sind noch enger.
Die Größe eines Rudels wird vom Nahrungsangebot bestimmt. Es können 5 aber auch 25 Tiere pro Rudel sein. In der kargen Landschaft in der sie leben, fressen sie sozusagen alles was sich bewegt, vom kleinen Lemming, Schneehasen bis zu Karibus oder Moschusochsen. Je größer die Beute umso mehr Rudelmitglieder sind erforderlich, um gemeinschaftlich diese zu erlegen.
Welpen kommen im März und April zu Welt. Normalerweise sorgt nur das Alphapaar für Nachwuchs. Die Welpen werden vom ganzen Rudel großgezogen. Eigentlich müsste man sagen „umsorgt“ und bewacht, wenn die Alphahündin zur Jagt unterwegs ist. Alle Rudelmitglieder erhalten einen Anteil an der Beute, auch wenn sie zum Schutz der Jungen bei der Wurfhöhle bleiben mussten oder sie sich beim Jagen getrennt hatten. Der Umgang untereinander ist überwiegend sehr freundlich. Allerdings verteidigen die Alphatiere ihre Position auch gnadenlos und schützen ihr Rudel konsequent. In einer Dokumentation des ARD* ist zu sehen, dass ein Muttertier versehentlich eine Wurfhöhle im Revier eines fremden Rudels bezogen hatte. Sie wurde entdeckt und trotz aller Ablenkungsmanöver, die Wurfhöhle aufgespürt und die Welpen alle getötet. Es sind sehr verstörende Bilder aber das eigene Überleben hat in der kargen lebensfeindlichen Landschaft oberste Priorität. Allerdings haben diese Lebensbedingungen sie auch weitestgehend vor dem Zugriff der Menschen bewahrt, sieht man von den Inuit ab, die Polarwölfe wegen ihres Fells jagen. Der Bestand an Polar- und Tundrawölfen ist weitestgehend stabil.
*sehr empfehlenswert: „Polarwölfe – Überleben in Kanadas Arktis“ in 3 Teilen zu finden in der ARD-Mediathek.
Für uns Besserwisser: Wölfe heulen den Mond an. – Nein, das ist ein Märchen und ja natürlich heulen Wölfe auch bei Vollmond, denn da ist es heller und besser zum Jagen, was sie so dem Rudel mitteilen – aber sie heulen ihn nicht an. Das Wolfsheulen dient der Verständigung unter Rudelmitgliedern, zur Kontaktaufnahme mit dem anderen Geschlecht oder zur Abgrenzung ihres Reviers gegen Eindringlinge, seien es andere Wölfe oder Menschen. Im Alter von 4 Monaten lernen Welpen bereits das Heulen und somit die spezifischen Töne, die für ihr eigenes Rudel typisch und unverwechselbar sind.
Die folgenden Bilder der Hudson-Bay Wölfe wurden aufgenommen im Oktober 2021 im Zoo Duisburg





Die Bilder der Polar Wölfe wurden aufgenommen im Januar 2021 im Wildpark „Alte Fasanerie“ Klein-Auheim bei Hanau





