In diesen Tagen begann in Montreal die 15. United Nations Biodiversity Conference (Weltnaturschutz-Konferenz). UN-Generalsekretär António Guterres hielt die eindrucksvolle und hoffentlich nachhaltige Eröffnungsrede:
„Mit unserem bodenlosen Appetit auf unkontrolliertes und ungleiches wirtschaftliches Wachstum ist die Menschheit zu einer Massenvernichtungswaffe geworden. Wir führen Krieg gegen die Natur. Bei dieser Konferenz geht es um die dringende Aufgabe, Frieden zu schließen. Die Menschheit behandelt die Natur wie eine Toilette und begeht damit stellvertretend Suizid, weil der Verlust von Artenvielfalt auch mit gewaltigen Kosten für die Menschheit einhr geht. Die „Orgie der Zerstörung“ muss beendet werden. Wir müssen die Verantwortung übernehmen für den Schaden, den wir angerichtet haben, und handeln, um es wieder in Ordnung zu bringen. Trotz der Träume von Milliardären, die sich etwas vormachen, gibt es keinen Planet B. Wir müssen die Welt in Ordnung bringen, die wir haben.“
UN-Generalsekretär António Guterres am 07.12.2022
Aber zum Glück gibt es immer wieder auch Erfolge im Arten- und Naturschutz zu vermelden. Von einer erfolgreichen ex-situ* Maßnahme will ich in diesem Beitrag berichten.
Der Name dieser Damhirsch Art weißt nicht nur auf sein ursprüngliches Verbreitungsgebiet hin. Er steht auch für eine Hochkultur der Menschheit. Die Erfindung der Schrift und der ersten Rechtsordnungen geht auf sie zurück. Sie hat Dinge des täglichen Lebens entwickelt wie Ziegelsteine, Streitwagen, das Bier und die Keramik. Es war der Beginn der Stadtentwicklung von Kultur- und Technikgeschichte – Mesopotamien.
Dem Mesopotamischen Damhirsch hat diese Entwicklung allerdings weder geholfen noch genutzt, im Gegenteil. Seit frühster Zeit, mit dem sesshaft werden der Menschen in seiner ursprünglichen Heimat, wurde er gejagt und durch die Ausbreitung der Landwirtschaft und Städte aus seinem natürlichen Lebensraum verdrängt. Werfen wir doch einen Blick zurück in die Vergangenheit:

In der westiranischen Provinz Kermanschah wurden Felsenreliefs aus sassanidischer** Zeit gefunden. Diese zeigen u.a. eine Hirschjagd. Ägyptische und mesopotamische Herrscher legten bereits die ersten Menagerien an. Es wird vermutet, dass auch Damhirsche hier gehalten wurden. Im 9. Jahrhundert vor Christus ließ der assyrische König Assurnasirpal II. wissen: „Ich habe ganze Herden hergeholt und vermehrt. In den Ländern, in die ich reiste, und auf den Bergen, die ich überquerte, habe ich nach Bäumen und Samen ausgeschaut und sie gesammelt.“ Gleichzeitig erhielt der assyrische Herrscher unzählige weitere Exoten, unter anderem Elefanten, Bären und auch Hirsche. Allerdings wurden Tiere in den antiken Hochkulturen auch gejagt und gehalten um sie zu opfern. So war der Damhirsch das wichtigste Opfertier für Mond- und Jagdkulte der Ägypter, Assyrer, Sumerer.
Später wird in der Thora das hebräische Wort für eine Tierart genannt, die gegessen werden darf. Einige Übersetzer benutzen das Wort für Damhirsch. Und natürlich wird der Hirsch auch oft in der Bibel erwähnt. z.B. „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.“ (Psalm 42,2). Man kann vermuten, dass sowohl Thora als auch Bibel vom Mesopotamischen Damhirsch sprechen, da Israel und die Levante zum ursprünglichen Verbreitungsgebiet der Tiere gehörten.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts galt die Art bereits als ausgestorben. Im Jahr 1875 wurde sie dann wiederentdeckt und durch Sir Victor Brooke als neue Art wissenschaftlich beschrieben. Einige Tiere wurden nach London geschickt und sorgten dort auch für Nachwuchs (1880). Allerdings verstarben alle Tiere im Laufe der Jahre und 1951 galt der Mesopotamische Damhirsch als endgültig ausgestorben, da keine Sichtung mehr erfolgte und man auch nichts mehr von ihnen hörte.
Der amerikanische Forscher M. Talbot reiste 1955 im Auftrag der IUCN nach Vorderasien. Man erzählte ihm von einer Population die sich im irakisch/iranischen Grenzgebiet aufhalten sollte. Er berichtete den beiden deutschen Zoologen T. Haltenorth und W. Trense und die Wissenschaftler vermuteten, dass es sich um die Damhirsche handeln müsse. Werner Trense unternahm daraufhin im Auftrag von Georg von Opel eine Expedition, um auch weiteren Hinweisen nachzugehen. Die Reise war vom Erfolg gekrönt und Trense brachte 1957 das erste Zuchtpaar in den Opel Zoo in Kronberg. Georg von Opel gelang es mit weiteren importierten Tieren eine erfolgreiche Zucht aufzubauen. Bisher sind daraus etwa 260 Tiere hervorgegangen. Praktisch alle in Zoos und Gehegen gehaltenen Tiere sind Nachkommen dieser ersten Zuchtgruppe.
Die Berichte die Haltenorth an die iranische Regierung schrieb veranlassten diese, den Mesopotamischen Damhirsch unter Schutz zu stellen und Schutzgebiete auszuweisen. So wurde unter anderem das Semeshkandeh-Gehege in der Nähe der Stadt Sari eingerichtet, die mit reimportierten Tieren, u.a. aus dem Opel Zoo, bestückt wurde.
Mit Hilfe des Opel Zoos wurden 1976 die Tiere auch wieder in Israel angesiedelt. Es gibt in der Zwischenzeit außer im Zoo von Jerusalem noch zwei freilebende Gruppen dort. Um die Bemühungen weiter zu unterstützen, erhielt das Auswilderungsprogramm 2017 zwei Jungtiere aus Kronberg.
Heute leben etwa 1000 Tiere in Zoos und Parks überall auf der Welt. Im Jahr 1989 unternahmen Prof. G. Heidemann von der Uni Kiel und der damalige Direktor des Zoos Hellabrunn H. Wiesner eine Reise in den Iran, um die Bestände zu sichten. Leider mit ernüchterndem Ergebnis. Zum damaligen Zeitpunkt lebten etwa 300 Tiere in verschiedenen Gehegen. Der gesundheitliche Zustand der Tiere war zu dieser Zeit schon schlecht. Aktuelle Informationen liegen aufgrund der momentanen Gegebenheiten im Iran nicht vor.
Das ist die spannende Geschichte einer Tierart, die ohne Unterstützung engagierter Menschen und Zoos mit Sicherheit ausgestorben wäre.
*Im Naturschutz sind Ex-situ Maßnahmen zur Erhaltung der Artenvielfalt solche, die außerhalb des eigentlichen Lebensraums einer Art stattfinden, beispielsweise in Botanischen und Zoologischen Gärten. Siehe auch Beitrag Art, Artenschutz.
**Sassaniden – die letzte vorislamische Dynastie, die das zweite persische Großreich gründete. 224 – 651 n.Chr.
Für uns Besserwisser: Im Iran werden die Tiere Gawazn Zard-e Irani genannt – Iranischer Gelbhirsch












Alle Bilder dieser Galerie entstanden im Opel-Zoo Kronberg.